Der Titel des Buchs wird der Thematik der Handlung nicht gerecht! Er vermittelt den Eindruck einer Courths-Mahler bzw. einer Rosamunde Pilcher – Geschichte. Dem ist aber nicht so!
Sätze des Romans, die mich wahrscheinlich nie ganz loslassen werden:
Blutest du, Mama?
Letztes Jahr, als Du von Tante Sonja wiedergekommen bist, hat Daddy gesagt, dass Du blutest und nicht verfügbar bist.
Du hast geblutet und warst nicht verfügbar. Und wir mussten spielen.
Und wie du diesmal weg warst, ist Onkel Richard zu Besuch gekommen.
Und Daddy hat ihm Dessie zum Spielen gegeben.
Ein unter die Haut gehendes, sehr spannendes und sehr emotionales Buch. In der ICH Form geschrieben, verbindet die Handlung auf sehr nahe persönliche Weise, die Hauptprotagonistin Nicolett Danzincourt DeLande mit der Leserschaft.
Nicolett heiratet Montgomery DeLande, einen Sohn der ältesten und mächtigsten Familie Louisianas. Ihr Mann betet sie an, trägt sie auf Händen und Nicolett genießt ausgiebig und bewusst den Luxus, sie ist glücklich. Bis sie eines Tages von ihren beiden kleinen Töchtern diese Sätze hört – die Welt stand still – für diesen Augenblick. Immer wieder hallen diese Sätze in ihr wieder!
Und Nicolette macht die Schubladen ihrer Seele auf, die sie mit Erlebnissen ihres Ehelebens gefüllt hat, welche sie eigentlich für immer ignorieren wollte, ja ignoriert hat - und das viele Jahre lang. Und was da aus den Schubladen quillt erschreckt und erschüttert sie – sie kann sich der ungeschminkten Wahrheit nicht mehr verschließen! Das Bewußtsein, jahrelang die oftmals erzwungene, mit kleinen Folterungen angereicherte ehelich intime Pflichterfüllung ertragen und hingenommen zu haben, die individuelle Familiengeschichte bzw. Tradition der Familie DeLande - bezogen auf die Geburt von weiblichen Nachkommen - und auch die manchmal sehr deutlich wahrnehmbare Persönlichkeitsspaltung ihres Ehemannes, bringen sie nun, da sie klar und deutlich bewußt vor ihr liegen - an den Rand eines Abgrunds!
Die ausgesprochenen Sätze ihrer Töchter ändern alles - ändern ihr Leben schlagartig und das ziemlich krass. Sie kämpft, schützt ihre Töchter und auch das neue Leben, was in ihr heranwächst! Ein Alptraum – der Kampf gegen die DeLandes beginnt! Am Ende bringt der Tod den Sieg!
Zusatz:
Nicolettes Freundin ist eine junge rassige bildschöne Frau, deren Großvater zu 1/8 afrikanischer Abstammung war. In diesem Zusammenhang erfahren die Leser dass das »Plaçage System« eine Extra- anerkannte Rechtsordnung durch die Louisiana Gesellschaft war, die aus der Zeit vor 1803 stammt, als Louisiana noch zu den Kolonien Frankreichs gehörte. »Plaçage« sollte den Mangel an weißen Frauen in den französischen Kolonien von Amerika (Louisiana Französisch und Santo Domingo) beheben. Männer weißer Hautfarbe gingen Ehen ein, z.B. mit afrikanischen u. indischen Frauen, um für den Fortbestand ihrer Familien zu sorgen. Diese Ehen waren damals rechtlich nicht anerkannt, die Frauen wurden wie Maîtressen behandelt und finanziell sehr gut gestellt. Männliche Nachkommen wurden auf die höheren Schulen geschickt, oftmals von der Mutter getrennt!
Nun kann geschlussfolgert werden, dass die Handlung des Romans in der damaligen Zeit angesiedelt ist. Weit gefehlt! Die Handlung geschieht in der jungen Vergangenheit, wahrscheinlich 1985/95. Und die älteste und mächtigste Familie Louisianas hat dieses »Plaçage System« wieder aufleben lassen, praktiziert es. Gerade auch dieser drastische Bezug zur Handlung, die Verquickungen hinein in die Ehe Nicolettes, sind schockierend, sehr bewegend und auch extrem bedrückend in ihrer eindeutigen Klarheit.
Die Autorin Gwen Hunter nimmt sich eines Tabu-Themas an - der Vergewaltigung in der Ehe und dem Kindesmissbrauchs durch den Kindsvater. Ein Thema, welches immer wieder mal kurz hervorgeholt wird, um dann schnellstens wieder in der Versenkung zu verschwinden, weil es Berührungsängste hervorruft. Die Mainstream Medien bringen es nur, wenn ein Fall öffentlich sensationell ausgeschlachtet werden kann. Die psychischen Hintergründe, der wirkliche Leidensweg der Beteiligten, spielen dabei eine untergeordnete Rolle. In der Handlung des Buchs werden Sachverhalte hinterfragt und von beiden Seiten - Täter und Opfer – meines Erachtens, sehr gut individuell auf diesen Fall bezogen - dargestellt.
Natürlich sind alle Fälle dieser Art immer individuell betrachtend, psychologisch anders. Doch Fakt ist, dass in unserer heutigen aufgeklärten modernen Zeit diese Art von Vergewaltigung und Kindesmissbrauch immer noch eine Dunkelziffer in der Statistik darstellt, weil man zum Beispiel aus Prestigegründen, Hilflosigkeit der Situation gegenüber, auch aus falsch verstandenem Sinn einer Ehe und auch aus Scham solche Verbrechen lieber schweigt, duldet und und die Tat als solche nicht zur Anzeige bringt. Ich denke, es liegt auch am System der heutigen Zeit, inwieweit Opfer wirklich psychologisch betreut und geschützt werden und inwieweit Opfer durch das Denkverhalten vom System zu Mittätern abgestempelt werden.
Meine Buchempfehlung - dieses Buch sollte man gelesen haben!
Meinen Dank an die Autorin Gwen Hunter für dieses Buch! Chapeau!
Heidelinde Penndorf
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